Jahre in Kisten - 50 lines of mine

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Jahre in Kisten

Jahre in Kisten

Sie saß auf den Kisten. Ihre Füße baumelten leicht gegen die Pappe. „Das war’s also." Hier waren sie, die letzten Jahre ihres Lebens, gestapelt in Kisten. Die Kleider, die sie trug, ein wenig von dem Geschirr, das sie benutzte, die Decke, unter der sie schlief. Einige Badezimmerutensilien, Schminke, Kämme und Bürsten. Das alles konnte sie mitnehmen ohne das Heim, in dem sie gelebt hatte, nackt auszuziehen. Ein paar Habseligkeiten, von denen sie wusste, ihr Entfernen hätte keine Bedeutung für das Haus, welches ohne sie zurückbleiben wird.

Ihre Entscheidung war getroffen. Ganz sicher. Und dennoch überfiel sie ein Schwanken. Ein unbestimmtes Gefühl. Es kam irgendwie aus ihrem Inneren und bewegte sich nach oben. Jetzt streckte es seine Klauen nach ihr aus und zerrte an ihr. Es war etwas, womit sie nicht gerechnet hatte und von dem sie wusste, dass sie es niemandem mitteilen konnte, egal wie verbunden er ihr sein mochte. Sie musste an ihrem Entschluss festhalten.

Sie schaukelte mit den Beinen und ihre Gedanken wanderten zum Anfang zurück, zu der Zeit, als alles ein Glänzen war, zu der Zeit, als sie Ingmar kennenlernte und sie es kaum erwarten konnte, ihn das nächste Mal zu treffen. Jede Minute mit ihm war ein Versprechen, unzählig die kleinen Aufmerksamkeiten, die er ihr schenkte. Er war sanft, wenn er nach ihrer Hand griff und der raue Klang, mit dem er ihren Namen aussprach, legte eine glückliche Stille um ihr Herz. Das Teilen seiner Nähe, so sensationslos es war, erfüllte sie mit Frieden.

Wo war der Frieden geblieben? Das Eintauchen in die tröstliche Stille? Wann hatte es aufgehört?
Sie zählte erneut die Jahre, kam zum selben Ergebnis. Eine Zahl, die die Zehn weit überschritt. Nichts veränderte diese Zahl. Sooft sie auch zählte.

Zu Beginn hatte sie an die Einheit geglaubt, an die gemeinsame Zukunft, an eine Familie...

 
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